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Genetische Evolution


Genetische Evolution bezieht sich auf eine Evolution, in der die Gene von Lebewesen (Individuen) die Informationsträger darstellen (Genotyp). Alle Gene eines Individuums zusammen stellen dann den Genotyp eines Individuums dar. Diese werden als ein Lebewesen "dekodiert" bzw. führen dann zur Ausprägung des Phänotyps des Individuums in der Umwelt (die Umwelt kann Auswirkungen auf den Phänotypen und dessen Ausbildung haben). Der Phänotyp wiederum bestimmt zusammen mit der Umwelt (ein Fisch an Land hat keine hohe Fitness im Verhältnis zu Landlebewesen) die Fitness (eigentlich nur ein theoretisches Maß) des Individuums. Der Phänotyp zusammen mit der Umwelt hat Auswirkungen darauf, wie wahrscheinlich das Individuum Nachkommen zeugen wird oder wie viele Individuen ein zumindest ähnliches Genom in Zukunft erhalten. Um so mehr Individuen ähnliches Genom erhalten, um so wahrscheinlich wird dieses oder ähnliche Genome in Zukunft sein. So wird der Kreis geschlossen.


Am Beispiel der Evolution in der Natur:

Man nehme z. B. den Schneehasen. Dieser ist besonders gut geeignet für die Evolution, weil er sich so stark vermehrt. Der Hase, das kleine, kuschelige, weiße, hoppelnde Ding, wird Phänotyp genannt, also das Phänomen in der Natur. Die Informationen, die in seinen Genen gespeichert sind, werden Genotyp genannt. (Die Genen sind [spiralförmige] Molekühlketten im Zellkern und aber auch Gene anderswo [z. B. in den Mitochondrien].) Genotyp und Phänotyp zusammen werden als Individuum bezeichnet, also der Hase als Ganzes. Mehrere Individuen, die untereinander in Beziehung stehen und sich untereinander fortpflanzen können, werden als Population bezeichnet. Die Gesamtheit der Genotypen einer Population wird als Genpool der Population charakterisiert. Weil die Evolution (hauptsächlich) auf die Gene bzw. den Genpool wirkt, wird sie als genetische Evolution bezeichnet.

Der Genotyp bestimmt stark den Phänotyp, das Aussehen des Hasen, legt den Phänotyp aber nicht allein fest, denn die Umwelt kann als weiterer Faktor den Phänotyp bestimmen. Wenn ein Hase nur wenig zu fressen bekommt, wird er nicht dick werden, ganz egal, was in seinen Genen steht: Wo nichts ist, kann auch nichts werden. Der Genpool, also die Gesamtheit der Genotypen, ist das, was die Evolution in einer Population verändert oder anpasst. Wird der Phänotyp durch die Umwelt geändert, wird das meist nicht weitergegeben. Wenn ein Hase dünn ist, weil er wenig zu fressen bekommt, können seine Kinder trotzdem dick werden.

Es ist allerdings möglich, dass Mütter erworbene Immunitäten an ihre Kinder weitergeben, z. B. mit der Muttermilch, also etwas, was eigentlich zum Phänotyp gehört und nicht zum Genotyp, da diese Immunität nicht in den Genen kodiert ist. Hier sieht man noch einen wichtigen Punkt der Natur: Die Ausnahme ist meist Regel.

Die Veränderung des Genpools geschieht allerdings über den Umweg der Phänotypen der Population. Unter vielen Komponenten ist die Fortpflanzung dabei die wichtigste. Um so besser der Phänotyp dazu geeignet ist, dass das Individuum sich fortpflanzt, um so eher wird es viele Nachkommen mit seinen Genen haben und um so wahrscheinlicher werden seine Gene in der zukünftigen Population anzutreffen sein.

Ein flinker Hase wird wahrscheinlicher ins geschlechtsreife Alter kommen, da er Jägern besser entkommen kann, als ein nicht so flinker Hase. Dadurch haben die flinken Hasen eine bessere Chance, sich fortzupflanzen und viele Nachkommen zu haben, als langsamere. Flinke Hasen haben auch eher Gene, die sie flinker machen als Langsamere. Dadurch werden Gene, die flink machen, eher vererbt, weshalb es ziemlich schwierig ist, Hasen mit der Hand zu fangen. (Dies weiß ich aus eigener Erfahrung.) Hier wird ein weiterer Punkt der Evolution sichtbar: Es geht immer um Wahrscheinlichkeiten und nicht um "mit Sicherheit". Hasen die flinker als andere sind, können auch einfach das Glück gehabt haben. Wenn sie beispielsweise, als sie klein waren, an einen Ort gelebt haben, wo es immer gutes Futter gab. Das gute Futter hilft ihnen sicherlich dabei, groß und flink zu werden. Das gute Futter ist dann also ein guter Ersatz für "flinkmachendere Gene". Ein Hase, der noch so gute flinkmachende Gene hat, kann trotzdem noch als kleiner Hase einem Unglück oder Räuber zum Opfer fallen. Es ist nur wahrscheinlicher, dass ein Hase mit "flinkmachenden Genen" flink wird, länger lebt und mehr Nachkommen zeugt. Das ist auch ein Grund, warum Evolution nur auf viele Individuen wirkt und nicht auf ein einzelnes alleine.

Hasen, die eine bessere Chance als andere haben, sich fortzupflanzen und viele Nachkommen zu zeugen, haben eine höhere Fitness als andere. Das heißt, um so fitter Hasen sind, um so wahrscheinlicher werden ihre Gene in späteren Generationen anzutreffen sein.

Ein weiterer Punkt ist, dass nichts so einfach oder abgeschlossen ist, wie es zunächst scheint. Trotz der Tatsache, dass ein Hase ein Individuum ist, kann er wiederum andere Individuen, sogar ganze Populationen, enthalten. Hasen haben Darmbakterien, die als eigenständige Individuen in einer Umwelt (Hasendarm) angesehen werden. Der Hase ohne seine Darmbakterien ist allerdings nicht mehr das gleiche Individuum aus evolutionstechnischer Sicht, da ohne seine Darmbakterien seine Fitness anders wäre. In diesem Fall wäre sie wahrscheinlich schlechter, weil er seine Nahrung schlechter verdauen könnte. Diese Darmbakterien haben ihre eigenen Gene, bzw. ihren eigenen Genotyp, und ihren eigenen Phänotyp. Als Population haben sie ihre eigene genetische Evolution. Auch können Gruppen von Hasen zu Individuen zusammengefasst werden, die untereinander in evolutionärer Beziehung stehen. Bei solchen "Gruppenindividuen" zählt dann nicht mehr das Überleben des einzelnen Hasen aus der Gruppe, sondern nur noch das der Gruppe, bzw. dessen Genpool. So können Gene, die dazu führen, dass sich einzelne Hasen nicht fortpflanzen (z. B. Gene für einen Beschützerinstinkt, der stärker ist als der Überlebensinstinkt) durchaus sinnvoll sein und erhalten bleiben, wenn sie die Fitness der Gruppe erhöhen.


Evolution wirkt auch bei vielen Vorgängen, in denen sie gar nicht vermutet wird, z. B. hat man bei Ideen oder Programmen meist mehrere von diesen zu einem Thema und mit der Zeit setzen sich dann die "Besseren" (was besser ist, bestimmt die Umwelt) von diesen durch und andere, nicht so gute verschwinden.


Die gewollte und bewusste Anwendung in der Informatik von Wissen über die Evolution heißt evolutionäre Algorithmen, die der genetischen Evolution entsprechend genetische Algorithmen. Deren Grundlagen seien im Nachfolgendem beschrieben.


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Betti Österholz 2013-02-13